Cumiana – report dez. 2016-12-07

Infolge der weltwirtschaftskrise in den 1920-er  jahren wanderten aus dem Piemont  zahlreiche familien nach Argentinien aus. In dem von deutsch-schweizern gegründeten dorf San Guillermo fanden besonders viele auswanderer aus Cumiana eine neue heimat.

Die verbindung zu ihren wurzeln haben diese Cumianesi nie abreissen lassen. Es war der damalige bürgermeister Cumianas, Gianfranco Poli, der dann vor 20 jahren einen partnerschaftsvertrag zwischen beiden orten anregte und begründete. Seitdem finden – trotz der gewaltigen entfernung – im zweijahres-rhythmus wechselseitige besuche statt.

Gelegentlich des 20. jahrestages der gründung der partnerschaft hat der gemeinderat von San Guillermo (gesprochen San Gischermo) eine offizielle delegation aus Cumiana eingeladen. Als ehrenbürger Cumianas wurde auch ich gebeten, an den feierlichkeiten teilzunehmen – was ich allerdings aus kostengründen ablehnen musste. Als mir dann aber zugesagt wurde, die flugkosten (ca. € 800,-) würden von einem sponsor übernommen, willigte ich natürlich gerne ein.

Die reise fand zwischen dem 9. und dem 21. november statt. Der gruppe gehörte der bürgermeister Paolo Poggio, exbürgermeister Gianfranco Poli mit gattin, mehrere stadträte und einige bürger Cumianas, die sich bei der fördrung der beziehungen verdient gemacht hatten an – insgesamt 12 personen.

Der flug ging von Mailand über Madrid und Buenos Aires nach Cordoba, von wo wir abgeholt nochmal 400km bis San Guillermo auf bundesstraßen fuhren.

Das städtchen (ca. 10 000 einwohner) gehört zur provinz Santa Fé und liegt ca. 500km östlich des fußes der Anden in einer fruchtbaren ebene. Die gegend ist landwirtschaftlich geprägt. Getreideanbau und viehwirtschaft sind die haupteinnahmequellen. Riesige traktoren und erntemaschinen bearbeiten die felder, die standardmäßig 1000 mal 1000 meter messen. Das vieh bewegt sich frei auf diesen großen flächen – was sicherlich zu der zu recht gerühmten fleischqualität führt.

Die bewohner von San Guillermo haben es zu einem gewissen wohlstand gebracht. Der indigene teil der bevölkerung beträgt zahlenmäßig etwa 1/5 und gehört  offensichtlich der niederen sozialen schicht an. Es gibt aber keine diskriminierungen und auch keine rassistisch begründeten unruhen. Ich habe das in zahlreichen gesprächen erfahren können.

Interessant war für mich die tatsache, daß keine der nachkommen der auswanderer, seien es italiener, deutsche oder andere – noch ihre ursprüngliche sprache beherrschen. Alle sprechen spanisch. Wir trafen allerdings auf einige wenige, die noch den piemontesischen dialekt radebrechten.

In San Guillermo angekommen, wurden wir zunächst auf privatfamilien verteilt und dann begann eine reihe von feierlichen empfängen, festen und veranstaltungen, die von einer unglaublichen herzlichkeit geprägt waren.

Dieser kleine ort hat ein sehr reges vereinsleben und jeder verein wollte uns im rahmen einer eigenen feier – immer mit darbietungen, geschenken und kulinarischen und bacchantischen köstlichkeiten – begrüßen! Uns zu ehren wurden marmortafeln enthüllt, ausstellungen gezeigt, gauchowettbewerbe veranstaltet, tanzfeste organisiert und viele interessante besichtigungen angeboten.

Beeindruckend waren natürlich gleich zu beginn die wetterverhältnisse! In Madrid sind wir bei kälte, nieselregen und wind in den flieger gestiegen, um nach 13 stunden in eine blühende, vor grün strotzende landschaft mit 35°C wärme einzutauchen!  

Auch die medien waren sehr an uns interessiert, wobei ich als exot besondere aufmerksamkeit genoß! In zwei rundfunk und einem fernsehinterview konnte ich ausführlich über die entstehung der städtefreundschaft Erlangen-Cumiana berichten und die organisation und arbeitsweise des EBF erläutern. Das TV-interview wurde dann zu bester stunde gesendet, meine gastgeber hatten es für mich aufgenommen, da ich zum zeitpunkt der sendung natürlich wieder unterwegs war.

Irgendjemand mußte den gastgebern von meiner tangoleidenschaft erzählt haben, weil ich mit einer betörenden schönheit  auf zwei veranstaltungen vor hunderten begeisterten zuschauern tango argentino tanzen mußte.      

Ich konnte in diesen tagen sehr viele leute kennenlernen mit denen ich in kontakt bleiben werde. So auch mit einem leidenschaftlichen rennradfahrer, der an der nächsten friedensfahrt im juli 2017 von Berlin nach Erlangen teilnehmen will!

Einen absoluten tiefpunkt hat es auch gegeben, der nach den herrlichen und fröhlichen tagen davor umso deprimierender war.

Eine der besichtigungsfahrten führte uns zum „Mar Chiquita“, einem riesigen salzsee, der als erholungsgebiet hier während des sommers (januar bis märz) sehr beliebt ist. In Miramar wurden wir gleich zu beginn zu dem verfallenden „Hotel Vienna“ geführt, einem protzbau typisch faschistischer bauweise, wo es sich nach 1945 viele nazigrößen gut gehen ließen - geduldet, wenn nicht gar hofiert  von der damaligen regierung. Im anschluß an die führung durch die noch begehbaren räume wurde uns die geschichte des hauses als video gezeigt, wobei nur am rande und verschämt von den verbrecherischen gästen berichtet wurde.

Da mich dieser umgang mit der vergangenheit maßlos aufgeregt hatte (das „Hotel Vienna“ wird als museum geführt und gilt als hauptattraktion in Miramar), habe ich im anschluß an die videovorführung eine leidenschaftliche diskussion begonnen. Ich habe mich als deutscher zu erkennen gegeben und mich empört über die gesehenen und gehörten darstellungen geäußert. Ich wollte die gründe erfahren, die es ermöglicht hatten, daß sich hier zahlreiche nazigranden mit familien jahrelang verstecken konnten.  Nach ersten ausweichenden antworten wurde mir dann bedeutet, daß diese „gäste“ sehr viel geld ins land gebracht hätten, was die regierung zu ihrer großzügigen haltung bewog.

Dem anschließenden essen in einem noblen restaurant bin ich ferngeblieben, nach dem besuch dieser schandstätte konnte ich unmöglich einfach zur tagesordnung übergehen.

Dieses verhalten ist von den gastgebern sehr wohl verstanden worden und hat mir sehr viel sympatien eingebracht.

Zum schluß der reise führten uns unsere freunde aus San Guillermo noch für drei tage in die metropole Buenos Aires, wo wir das imposante kongressgebäude und weitere touristische sehenswürdigkeiten unter kundiger führung besuchten.

Zusammenfassend kann ich sagen, daß es eine ungemein interessante, lehrreiche und bereichernde fahrt war, während der ich bemüht war,meinem status (ich wurde überall als „Uomo per la Pace“ vorgestellt) gerecht zu werden. In einem bericht über den besuch unserer delegation in der lokalen presse wurde ich als einziger teilnehmer namentlich erwähnt, was schon wieder peinlich ist.

 

Erlangen, 7.12.2016

 

 

 

 

Aus protest gegen die m.m. nach unsinnigen „rechtschreibreform“ benütze ich weiterhin die alte schreibweise, ergänzt durch die gemäßigte kleinschrift.